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«Alles dreht sich um das Publikum»

von Matthew Studdert-Kennedy
Gustavo Gimeno dirigiert ein Orchester

Chefdirigent des Orchestre Philharmonique du Luxembourg

Gustavo Gimeno

 

Gustavo Gimeno im Gespräch mit Matthew Studdert-Kennedy

 

«Wir waren daran gewöhnt, ein Publikum zu haben... als wir dann plötzlich keines mehr hatten, oder nur ein dezimiertes, ging es uns auf, wir unsere Aufgaben nicht vollständig erfüllen konnten. In dieser Zeit ist mir mehr denn je bewusst geworden, wie wichtig die Zuhörerinnen und Zuhörer sind und wie stark ihre Anwesenheit einen inspirieren kann.» Jedes Gespräch mit Gustavo Gimeno changiert zwischen zwischen Momenten der Bewertung ohne Scheuklappen und stärker intuitiven Momenten. Und nachdem sich die Jahre der Pandemie auf uns in ganz unterschiedlicher Weise ausgewirkt haben, hofft und glaubt Gimeno, dass wir aus dieser Erfahrung in jedem Fall etwas mitnehmen und im positiven Sinne nutzen können. In seiner achten Saison als Leiter des Orchestre Philharmonique du Luxembourg können wir aus diesen schwierigen Zeiten heraus vielleicht sogar einen besonderen Antrieb ableiten. «Unsere Rolle war fragiler, wir mussten uns neu erfinden, mit der Norm brechen. Wir haben gelernt, Hindernisse zu überwinden und Grenzen zu überschreiten. Wir waren dankbarer denn je, Musik zu machen, wenn wir es konnten.»

Heute ist Gimeno Chefdirigent zweier großer Symphonieorchester (im Herbst 2020 hat er auch die Leitung des Toronto Symphony Orchestra übernommen) und fühlt sich der Öffentlichkeit gegenüber ebenso verpflichtet wie den Musikerinnen und Musikern im Orchester. Das Repertoire für die kommende Saison umfasst Werke einiger seltener ­programmierter Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts: Witold Lutosławski, Henri Dutilleux und Karol Szymanowski. Seiner Meinung nach handelt es sich dabei um großartige Musik, die es verdient, in unseren Konzertsälen aufgeführt zu werden, und die sowohl die Musiker als auch das Publikum bereichern wird. «Wir dürfen nicht vergessen, dass das Publikum oft zu einem Konzert kommt, um ein bestimmtes Werk zu hören, aber dann feststellt, dass das weniger bekannte Stück auf dem Programm dasjenige ist, das ihm am besten gefällt... Ich finde das sehr inspirierend, es erteilt uns den Auftrag, der Programmation ein möglichst breit gefächertes Repertoire zugrunde zu legen.»

Auch ganz neue Werke stehen im Raum, darunter zur Saisoneröffnung ein Schlagzeugkonzert von Daníel Bjarnason, das für den unvergleichlichen Martin Grubinger geschrieben wurde. Und wie immer haben auch etablierte symphonische Werke ihren Platz, diesmal von Nikolai Rimski-Korsakow, Richard Strauss und Pjotr Iljitsch Tschaikowsky. In jeder Saison, die Gimeno mit seinem Luxemburger Orchester verbracht hat, war Gustav Mahlers Symphonik präsent, und als nächstes steht die ausladende Sechste Symphonie auf dem Programm. «Ich habe die Sechste viele Male im Orchester gespielt. Einigen der Symphonien habe ich mich von Anfang an sehr nahe gefühlt, wie der ersten und der dritten. Zur Sechsten bin ich erst später gekommen. Ich liebe sie sehr. Ich nehme mir die Symphonien in der für mich richtigen ­Reihenfolge vor, und es fühlt sich für mich an, als sei nun der richtige Moment gekommen, um das Stück zu spielen.» Die Reise geht also weiter, und mit einer gewissen Intuition darf man wohl auch festhalten, dass auch für das Publikum der richtige Moment gekommen ist, um dieses Stück zu hören.

 

Titelfoto: Marco Borggreve