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«Ich möchte die Welt von Heute mit der
Op r
verbinden»

Axelle Fanyo im Gespräch mit Anne Payot-Le Nabour

Axelle Fanyo in einer weißen Bluse schaut in die Kamera

Was bedeutet Ihre Nominierung zum Rising star der Saison 2023/24?

Es ist eine Ermutigung, eine große Anerkennung, vor allem für die Kunst des Rezitals, die einen sehr wichtigen Platz in meiner künstlerischen Identität einnimmt. Ich fühle mich geehrt, Teil der Rising stars-Familie zu sein.

Im Moment proben Sie die Oper Justice von Hèctor Parra am Grand Théâtre de Genève. Inwiefern unterscheidet sich die Vorbereitung eines Rezitals davon für Sie?

Ich denke, ein Rezital ist viel schwieriger als eine Oper, weil man allein auf der Bühne steht, ohne Bühnenbild und ohne Partner, abgesehen von unserem musikalischen Partner, dem Pianisten oder einem anderen Instrumentalisten. Es geht darum, dem Publikum durch unsere Darbietung, unsere Interpretation des Textes und die Beziehung zwischen Stimme und Instrument einen außergewöhnlichen Moment zu präsentieren. Man wechselt von einem Lied zum nächsten, jedes dauert nur wenige Minuten, von einem Komponisten zu einem anderen, und es gilt, einen roten Faden zwischen diesen verschiedenen Welten zu schaffen, während man immer im Kopf behält, dass jede einzelne einzigartig ist. Ein Rezital zusammenzustellen, vorzubereiten und aufzuführen ist daher eine riesige Aufgabe!
Außerdem muss man stimmlich durchhalten, was sich völlig anders anfühlt als in der Oper, wo man selten eineinhalb Stunden am Stück singt. Man macht keine Pause, außer in den kurzen Momenten, in denen das Klavier allein spielt. Man muss also technisch in der Lage sein, sich selbst zu kontrollieren, um das Wohlbefinden zu gewährleisten und nicht von Ermüdung überwältigt zu werden, die die Ausnutzung der vorher geleisteten Arbeit verhindert. Es ist zugleich eine intellektuelle Herausforderung im Vorfeld und eine körperliche Herausforderung im Moment selbst. Ich liebe diese Art von Herausforderungen, aber der Liederabend ist zweifellos die größte von ihnen. Es ist auch einer der seltenen Momente, in denen ich einen Zustand beinahe tranceartiger Intensität erreichen kann: Dann spüre ich eine völlige Verbundenheit zwischen mir, meinem Partner, dem Publikum, meiner Vorstellung und meinem Wunsch. Dieser Zustand völliger Erfüllung und intensiven Genusses ist wirklich berauschend.

Wie kam es zu Ihrem Kompositionsauftrag an die griechische Komponistin Sofia Avramidou ?

Die Philharmonie de Paris, eine der Institutionen, die mich nominiert hat und seit einigen Spielzeiten mit Sofia Avramidou zusammenarbeitet, hat uns miteinander in Kontakt gebracht. Ich kannte die Komponistin überhaupt nicht, aber ihre Arbeit hat mir sofort gefallen. Von Anfang an hatte ich eine sehr klare Vorstellung von einem a-cappella-Stück, das es erlaubt, mit der Stimme, Klängen und Geräuschen viel weiter zu gehen, und das mit dem Umgang mit der Stille arbeitet. Ich habe betont, dass ich an den verschiedenen Lauten interessiert bin, die ein Mensch – und nicht nur eine Stimme – erzeugen kann. Das Ergebnis ist, dass der Gesang in ihrer Komposition nur eine der Komponenten ist, da ich darin auch Body Percussion und Geräusche mache. Die Vorgabe war, so weit wie möglich mit einer klassisch ausgebildeten Sängerin zu gehen, und Sofia Avramidou hat wirklich all meine Wünsche erfüllt – ganz abgesehen davon, dass ich bei diesem Stück großen Spaß habe. Da sie selbst traditionelle griechische Sängerin ist, hat sie ihre Kultur mit eingebracht. Unsere Gespräche über unsere jeweiligen Gesangstechniken waren äußerst spannend.

Welchen Platz nimmt die zeitgenössische Musik im Allgemeinen in Ihrer Karriere ein?

Bis zur letzten Spielzeit habe ich nie wirklich zeitgenössische Musik gemacht, dann wurde ich für eine Oper von Kaija Saariaho, Adriana Mater, in San Francisco engagiert – mit Esa-Pekka Salonen am Dirigierpult und Peter Sellars in der Regie. Es handelte sich um meine erste zeitgenössische Oper. Die Erfahrung war umso eindrücklicher, als Kaija Saariaho während unserer Arbeit an dem Werk verstarb. Dieses Erlebnis hat mich auf positive Weise ein wenig erschüttert und zugleich meinen Blick auf zeitgenössische Musik verändert: Mir wurde klar, dass ich sie sehr mag, und zwar nicht nur meine eigenen Partien – denn letztlich gefällt einem immer das, was man singt, sonst kann man es nicht überzeugend vertreten. Auch der Arbeitsprozess war ganz anders als alles, was ich bis dahin kannte. Ich fragte mich, ob das vielleicht an der Musik von Kaija Saariaho lag, aber nein. Zurzeit arbeite ich an der Uraufführung von Justice von Hèctor Parra in Genf und merke, dass ich eine echte Affinität zum zeitgenössischen Repertoire habe. Von Grund auf zu erschaffen – umso mehr, wenn es eine Uraufführung ist und es keine Aufnahmen gibt – ist ein faszinierender Prozess: Man eignet sich das Werk an, findet darin seinen Platz und prägt ihm seinen eigenen Stempel auf. Man lässt sich auch von der Vision des Komponisten mitreißen, mit dem man sich austauschen kann, was unglaublich bereichernd ist. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich liebe zeitgenössische Musik wirklich und hoffe, im Laufe meiner Karriere so viel wie möglich davon interpretieren zu können.

Wie kam Ihr Programm für die Philharmonie Luxembourg zustande? 

Ich wollte ein Programm zusammenstellen, das den Einfluss afroamerikanischer Musik – Jazz, Blues oder Gospel – auf klassische Komponisten zeigt, ein Aspekt, der mich schon immer fasziniert hat. Und so kam ich schnell zu den Cabaret Songs, denn das Kabarett entspringt dem Jazz. Es zeichnete sich als spannend ab, ein Programm aufzubauen, das diese Genres vereint und dabei verschiedene Länder, Nationalitäten und Einflüsse miteinander verwebt. Daher die Wahl der Brettl-Lieder von Schönberg und der Lieder von Kurt Weill, Komponisten, die sich perfekt in das Konzept einfügen, das ich mir vorgenommen hatte. Wenn man die Cabaret Songs bringt, dachte ich, dass man auch das amerikanische Repertoire vertiefen sollte, so kamen die Cabaret Songs von Bolcom hinzu. Anschließend fragte ich mich, ob es Komponisten gab, die unter dem Einfluss von Kabarett, Jazz und Gospel komponiert haben – so fanden Florence Price und Margaret Bonds ihren Platz im Programm. Der Spiritual «Sometimes I feel like a motherless child» schien dort ebenfalls am richtigen Ort zu sein. Schließlich fügen sich die Lieder von Copland ebenfalls in meine Fragestellung ein, denn die amerikanische klassische Musik ist aus dem Jazz und der Filmmusik hervorgegangen: diejenigen, die im Programm stehen, auf Gedichte von Emily Dickinson, gehören zu meinen drei Lieblingsstücken.

Erzählen Sie uns von Ihrem Pianisten Kunal Lahiry und der Rolle, die Sie Ihrer Begleitung einräumen.

Ein Rezital ist wirklich ein Dialog. Die Rolle des Pianisten ist essenziell und fast wichtiger als die des Sängers, denn ohne Pianisten können wir kein Rezital geben – im Gegensatz zu ihnen! Es ist ein bisschen wie eine Beziehung, aber eben eine künstlerische: Man denkt ständig über alle künstlerischen und musikalischen Aspekte nach, während langer Arbeitsphasen, in denen man genauso viel spricht wie spielt. Was Kunal Lahiry betrifft: Ich kenne ihn seit 2019. Wir haben uns im Rahmen des Carnegie Hall SongStudio kennengelernt, damals noch jeweils mit anderen Partnern, aber wir haben uns gesagt, dass wir unbedingt einmal etwas zusammen machen sollten. Später habe ich ihn eingeladen, als Deutsche Grammophon mir vorschlug, in der Reihe Rising Stars aufzunehmen, und wir haben gemeinsam am Wettbewerb für französische Mélodies in Toulouse teilgenommen. Aber unsere ersten richtigen Konzerte fanden erst zu Beginn dieser Tournee statt.

Sie sind Sopranistin. Wie würden Sie Ihre Stimme besschreiben?

Ich bin Sopranistin, weil ich mich in den Höhen wohler fühle. Meine Stimme entfaltet in dieser Lage wirklich ihre Kraft, und ich würde sie als rund, warm, expressiv, farbig… und auch eigenwillig beschreiben, denn manchmal führt sie mich mehr als ich sie!

Sie sagen, Sie sind auf der Suche nach der Oper von Heute…

Vor allem versuche ich, die Welt von Heute mit der Oper zu verbinden, da das Ziel von Kunst ist, sich mit der Zeit weiterzuentwicklen. Im Rezital versuche ich immer ein wahrhaftes Gespräch mit dem Publikum herzustellen, weil der zentrale Baustein aller meiner Anstrengungen für und dank des Publikums stattfindet. Heutzutage jedoch muss man diese Kunst erklären, denn die Zeit ist vorbei, in der das Publikum über umfassende Kenntnisse in Opernfragen verfügte. Das geschieht meiner Meinung nach durch Begegnungen – mit jungen Menschen, aber nicht nur. Man muss lernen, mit einem Publikum zu kommunizieren, das nicht mehr den gleichen Bezug zu den Dingen hat und in einer Gesellschaft lebt, in der alles schnell gehen muss, in der man sofort nach Ergebnissen und unmittelbaren Eindrücken verlangt. In der Oper jedoch ist es ein wenig komplizierter. Man muss also einen Weg finden, den Erwartungen der heutigen Welt gerecht zu werden, ohne zu verfälschen, was Oper und Rezital ausmacht: die Momente des Teilens und Innehaltens. Die Antwort darauf ist nicht einfach, aber ich suche sie – es ist eine fortwährende Aufgabe.

 


Das Interview fand am 19.12.23 am Telefon statt.


Anne Payot-Le Nabour ist seit 2015 Publications Editor an der Philharmonie Luxembourg. Nach ihrem Studium der Literatur, Germanistik und Musikwissenschaft arbeitete sie für Les Musiciens du Louvre und das Festival d’Aix-en-Provence. Nebenbei war sie als freie Autorin für verschiedenen Opernhäuser aktiv.

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