Zwischen der indischen Musikkultur und dem Jazz war er einer der wichtigsten Brückenbauer. Wunderkind, Pionier der East-West-Fusion mit Shakti, Vereiner von nord- und südindischen Traditionen, Teamworker mit Größen von Pharoah Sanders bis Yo-Yo Ma: Der Einfluss des Ende 2024 verstorbenen Zakir Hussain wird noch lange weiterwirken, nicht nur global, auch unter indischen Musikern. Von diesem Einfluss kündet nun eine Raga-Nacht, in der die Schaffenskraft indischer Musikerinnen im Fokus steht.
«East meets West» – dieses Schlagwort hatte in den 1960ern und -70ern noch einen aufregenden, fast sensationellen Klang. Wenn sich Indien und der Westen musikalisch trafen, hielt das Publikum – anders als in der heutigen globalisierten Musikwelt – noch den Atem an: sei es in den Indo-Jazz-Kompositionen von John Mayer, dem Treffen des Saxophonisten John Handy mit dem Sarod-Spieler Ali Akhbar Khan oder natürlich den Meetings von Sitarmeister Ravi Shankar mit Geiger Yehudi Menuhin. Mit dem Tablameister Zakir Hussain entwickelte sich die East meets West-Philosophie zu einer wirklichen Begegnung auf Augenhöhe, sei es im Jazzrock-Projekt Shakti, in seinem Aufeinandertreffen mit Trommlern aus aller Welt, oder in seinen Erkundungen von westlichem Orchesterklang.
« Bei alldem darf nicht vergessen werden, dass Zakir Hussains Arbeit immer tief in der indischen klassischen Tradition ankerte. »
Sein Vater war Alla Rakha, langjähriger Perkussionist für Ravi Shankar. Gleich nach der Geburt, so erzählte Hussain gerne, habe er ihm die Bols ins Ohr geflüstert, jene Silben, die in Nordindien für die verschiedenen Schläge auf der Tabla stehen. Der Sprössling sollte sofort auf das Wesentliche in seinem Leben geprägt werden. Zakir Hussain geht bei seinem Vater durch eine denkbar harte Schule in Theorie und Praxis: Jahrelang lässt ihn der Vater zunächst Rhythmen klatschen und die Silben dazu singen, bevor er auch nur einen Finger auf die Tabla legen darf. Der Sohn soll die Sprache der Trommel so verinnerlichen, dass sie für ihn so natürlich wird wie eine gesprochene Sprache – die Voraussetzung dafür, Geschichten auf dem Instrument erzählen zu können.
Doch er bekommt durch Rakha auch einen weiten Horizont mit auf den Weg: Schallplatten von Duke Ellington, Blind Faith, den Doors und Grateful Dead gehören mit zum Rüstzeug des Sohnes, der dann schnell lernt. Mit sechzehn nimmt Ravi Shankar ihn mit auf Tournee durch die USA, inklusive des legendären Auftritts beim Monterey Pop Festival. Schließlich gibt ihn sein Vater in die Obhut des Grateful Dead-Drummers Mickey Hart, was dem nun 18-Jährigen die Welt der globalen Trommelkunst öffnet. Er experimentiert mit dem Brasilianer Airto Moreira, verbindet die Parameter des indischen Regelwerks mit freier, improvisatorischer Philosophie. In den USA lernt Zakir Hussain auch den Engländer John McLaughlin kennen, der in New York einen Tutor für indischen Gesang sucht. Hussain unterweist den Briten, sie werden Freunde und gründen 1973 Shakti, eine Fusionband, die pionierhaft eine Symbiose aus indischer Klangkultur und der Welt von Jazz und Rock erarbeitet. Seitdem hat Zakir Hussain ein halbes Jahrhundert lang, bis zu seinem Tod, eine unüberschaubare Anzahl an weltumspannenden Teamworks mitgestaltet oder angeregt. In der Band Rhythm Experience versammelt er in den 1980ern Perkussionisten aus Indien, dem Nahen Osten, Kuba, Bali und Afrika. Anfang der Neunziger verstärkt er seine Aktivitäten bei Mickey Hart und gliedert sich in dessen Formation Planet Drum ein. Er musizierte mit Carlos Santana genauso wie mit Pharoah Sanders, wirkte beim Silk Road Project des klassischen Cellisten Yo-Yo Ma mit, gleist im neuen Jahrtausend sogar symphonische Unternehmungen auf.
Doch bei all diesen Ausflügen, so betont er selbst, hat er seine Verwurzelung nie vergessen: «Immer noch sind ungefähr 65 Prozent meiner Shows der klassischen indischen Musik gewidmet. Das ist das Wichtigste für mich, meine Tradition, meine Roots, damit halte ich mich in Form. Ich habe zwar auch immer westliches Schlagzeug auf der Bühne gespielt, aber an der Tabla bin ich am besten. Und alles, was ich während meiner Karriere, von wem auch immer gelernt habe, hat sich in meinem Tablaspiel niedergeschlagen.» Genau diesem kräftigen Stamm seines reich blühenden Klangbaumes zollen nun zwei Formationen Tribut, ehren damit den am 15. Dezember 2024 verstorbenen Ausnahmemusiker.
Triveni gehörte zu den letzten Projekten, die Zakir Hussain noch vor seinem Tod in die Wege geleitet hat. 2022 traf er erstmals für eine gemeinsame US-Tournee auf Kala Ramnath und Jayanthi Kumaresh. Beide sind Meisterinnen und Innovatorinnen der indischen Violine und der Sarasvatī Vīn. ā, dem herausragenden Lauten-Instrument der südindischen, karnatischen Musik. Nun, nach Hussains Tod, führen Ramnath und Kumaresh die Arbeit in Hussains Geiste, vermittelnd zwischen der Klassik des Nordens und des Südens weiter. Auf diese Schnittstelle verweist auch der Name des Ensembles: Triveni ist zum einen das Sanskrit-Wort für den Zusammenfluss der drei heiligen Ströme Ganges, Yamuna und Saraswati, zum anderen bezeichnet es das Aufeinandertreffen der Energieströme zwischen den Augenbrauen. Schon Zakir Hussain hob, wie nun auch seine Erbinnen darauf ab, dass die musikalischen Traditionen der beiden Teile des Subkontinents ehemals eins waren – erst durch den persischen Einfluss im Norden kamen neue Einflüsse ins Land, bildeten sich eigene Schulen heraus.
« Heute gilt es, die Unterschiede zu feiern und sie auf einer neuen Ebene zusammenzubringen. »
Kala Ramnath gilt als Meisterin der «singenden Violine». Sie hat im Laufe ihrer Karriere das Spiel auf der hindustanischen Violine revolutioniert und neue Techniken eingeführt. Die Grammy-prämierte Musikerin wirkt weit über Indien hinaus: Ihre Kompositionen haben es bis hinein in die Hollywood-Soundtracks geschafft und sind bereits vom Kronos Quartet interpretiert worden. Auf internationalem Parkett spielt sie mit Jazz- und westlichen Klassik-Stars gleichermaßen, unter ihnen die Banjo-Koryphäe Bela Fleck oder die brasilianische Legende Airto Moreira. Darüber hinaus ist Ramnath auf verschiedenen Erdteilen eine engagierte, unermüdliche Pädagogin.
Jayanthi Kumaresh stammt aus einer Familie, die sich seit sechs Generationen der Musik verschrieben hat. Sie spielt das für unsere Ohren sicherlich interessanteste Instrument in der Besetzung von Triveni, die Sarasvatī Vīn. ā. Mit dieser großen, siebensaitigen Laute aus dem Holz des Jackfruit-Baums wurde schon die Göttin der Weisheit, Sarasvatī, dargestellt. Über zwei Jahrtausende hat sie sich zu ihrer heutigen Form entwickelt. Im Vergleich zur erheblich populäreren Sitar hat die weitaus ältere Sarasvatī Vīn. ā einen ruhigeren, tieferen, nicht so metallischen, aber umso mächtigeren Klang. Nicht umsonst gilt sie als die «Mutter der indischen Musik», als Nationalinstrument des Subkontinents. Jayanthi Kumareshs Arbeit auf der Sarasvatī Vīn. ā ist bahnbrechend, da sie sie neben ihrer klassischen Spielweise auch in Dialogen mit anderen Instrumenten, etwa der Sitar erprobt. Sie hat ein Orchester gegründet, das Indian National Orchestra, das pionierhaft 21 Starmusikerinnen und -musiker aus der klassischen Szene ganz Indiens versammelt. Außerdem versucht die Universitätsdozentin, mit einer Serie in den Social Media breitere Hörerschichten für die klassische Musik zu gewinnen.
Mit einer weiteren Schlüsselposition bei Triveni schließt sich der Kreis zur Hommage an Zakir Hussain: An der Tabla finden wir hier niemand Geringeren als Fazal Qureshi. Er ist ein Bruder von Hussain und ist neben der hindustanischen Klassik ebenso geschult in Fusion-Arbeit mit Jazz und Pop, die er in Bands wie Mynta oder in Kollaborationen mit dem türkischen Sufi-Musiker Kudsi Ergüner unternahm.
« Mehr als ein Symbol für die Begegnung von Nord- und Südindien ist die doppelte Perkussionsbesetzung bei Triveni: »
Neben Qureshis Tabla ist der charakteristisch erdige Klang der doppelköpfigen Trommel Mridangam zu hören, die in der karnatischen Musik das Adäquat zu Tabla ist.
Wie Triveni vermittelt auch die zweite Gruppe des Abends, das Quartett der Sängerin Kaushiki Chakraborty aus Kalkutta, zwischen nord- und südindischen Klangtraditionen und rückt dabei behutsam die weibliche Seite der indischen Musik ins Zentrum. Der indischen Tradition gemäß wuchs Chakraborty vom frühesten Kindesalter an mit Musikunterricht auf, ihr Vater Ajoy war ebenfalls ein bekannter Sänger. Chakraborty spezialisierte sich vor allem auf die Genres Khyals und Thumri. Beide werden eingebettet ins Raga-System gesungen.
« Im Khyal wird ein Vorrat von 49 Mikrointervallen kultiviert, der zu einem Reichtum an Ausschmückungen beim Singen dient. »
Sein Ursprung wird im persischen Kulturraum vermutet. Einwanderer von dort vermischten ihn mit Qawwali, dem Gesang der pakistanischen Sufis, mit dem er über Jahrhunderte in enger Partnerschaft existierte, bevor sich Pakistan und Indien trennten. Themen des Khyal sind die Liebe, auch die Gottesliebe, insbesondere Erzählungen über die Gottheit Krishna. Die Lieder werden mit großer Brillanz und Virtuosität gesungen. Thumri hingegen ist das herausragende Genre der leichten Klassik Nordindiens, sehr romantisch, sanft, seelenvoll und tänzerisch. Im Thumri werden die strengen Regeln des Raga-Systems zugunsten der Poesie gelockert, historisch hat er eine enge Verbindung zum klassischen Kathak-Tanz.
Kaushiki Chakraborty beherrscht aber ebenso den ernsten, gewichtigen Dhrupad-Gesangsstil Nordindiens und ist auch in der südindischen, karnatischen Musik versiert. Ihre innovative Kraft zeigt sich in vielerlei Gestalt, etwa in der Gründung eines reinen Frauen-Ensembles namens Sakhi: Diese Band promotet im In- und Ausland die Bedeutung von Frauenfiguren in Indiens Historie und Mythologie.
Auch im Ensemble von Kaushiki Chakraborty soll ein Instrument hervorgehoben werden: Murad Ali spielt die Sarangi, dasjenige Instrument, das von allen im indischen Musikkosmos als dasjenige gilt, das der menschlichen Stimme am meisten ähnelt und damit der Idealvorstellung der Inder am nächsten kommt. «Sarangi» bedeutet farbig, in der leichten Abwandlung «saurangi» sogar «hundert Farben». Passend, denn mit ihrem Obertonreichtum, erzeugt durch bis zu 35 Resonanzsaiten, beschwört sie tatsächlich ein ganzes Spektrum irisierender Bilder herauf. Nachgewiesen ist sie unter dem heutigen Namen seit der Mogul-Zeit im 16. Jahrhundert bei Wandermusikern in Rajasthan. Die Saiten werden nicht gedrückt, sondern mit dem Ansatz des Fingernagels berührt, auch das trägt sicherlich zu ihrem filigranen Sound bei, genau wie die vielen Gleit- und Flageolett-Techniken.
Mit den beiden Ensembles unter der Führung dreier Frauen – Kala Ramnath, Jayanthi Kumaresh und Kaushiki Chakraborty – wird Zakir Hussains Sichtweise auf die Raga, befreit von Grenzen geograhischer und stilistischer Art, mit weiblicher Strahlkraft tief ins 21. Jahrhundert geführt.
Stefan Franzen wurde 1968 in Offenburg/Deutschland geboren. Nach einem Studium der Musikwissenschaft und Germanistik ist er seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist mit einem Schwerpunkt bei Weltmusik und «Artverwandtem» für Tageszeitungen und Fachzeitschriften sowie öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten tätig.